Long Covid

Long Covid

Was ist Long Covid?

Long Covid ist ein neuer Begriff für ein schon lange bekanntes Phänomen – die postvirale Fatigue. Es kann nach viralen Infekten zu teilweise mehreren Monaten anhaltenden Problemen kommen, die glücklicherweise in den meisten Fällen wieder ausheilen.

Die hohen Absolutzahlen aufgrund der vielen Erkrankten und die durch PCR eindeutige Zuordenbarkeit zu einem Erreger haben hier natürlich die Aufmerksamkeit sehr auf das Thema gelenkt.

Leider ist der Begriff Long Covid noch sehr schlecht definiert.


Was bezeichnet man als Long Covid?

Der Begriff Long Covid tauchte das erste Mal im Mai 2020 auf Twitter auf. Er ist sehr geprägt von denjenigen, die dieses Problem betrifft – den Patient*innen. Mittlerweile gibt es auch andere Begriffe für Symptome, die nach einer Covid19-Infektion anhaltend sind. Dazu zählen Long-Haul Covid, Post-acute sequelae of Covid19 (PASC), Post-acute Covid19-Syndrome.

Generell werden als Long Covid jene Symptome bezeichnet, die länger als 4-12 Wochen nach Infektion noch vorhanden sind. Das ist aber eine sehr unscharfe Bezeichnung. Es gibt Menschen, wo durch die Infektion Organschäden aufgetreten sind oder die durch eine Behandlung an der Intensivstation Folgeprobleme erlitten haben. Zusätzlich kann eine Infektion mit Covid19 psychische Probleme auslösen oder vorbestehende Probleme verstärken.

Es gibt jedenfalls eine Vielzahl von anhaltenden Symptomen, die mit Covid19 in Verbindung gebracht werden.


Long Covid im eigentlichen Sinne

Für mich bedeutet die Bezeichnung Long Covid aber etwas anderes. Ich zähle hierzu jene Menschen, die meist ohne Nachweis eines Organschadens und ohne offensichtliche psychische Problematik (abgesehen von der Belastung durch die Situation) das klinische Bild von ME/CFS aufweisen.

Das typische Merkmal ist hier eine massiv gesteigerte körperliche Erschöpfbarkeit. Oft kommt es schon durch minimale Belastung im Alltag zu einer deutlichen Verschlechterung des Zustandes. Der Alltag ist kaum bewältigbar, eine Arbeitsfähigkeit ist oft nicht vorhanden.

Dazu kommen Probleme wie nicht erholsamer Schlaf, Störungen der Kreislaufregulation, Schmerzen, Probleme mit Merkfähigkeit oder Konzentration und Veränderungen der Verdauung.

Es gibt hier bereits eine Untersuchung, die dieses Bild bestätigt. Es betrifft vor allem eher jüngere Menschen und hier mehr Frauen als Männer. Das deckt sich mit der Erfahrung von ME/CFS.


Wie häufig sind Folgen von Corona?

Wie häufig eine Infektion mit Covid19 langfristige Folgen verursacht, ist leider noch schlecht untersucht. Die Schätzungen variieren von 2-30% der Betroffenen. Das Problem ist, dass es hier sehr unterschiedliche Arten gibt, diese Zahlen zu erfassen. Darüber hinaus wurden auch unterschiedliche Zeitpunkte gewählt, wo eine Beurteilung stattfand.

Die besten Zahlen kommen aktuell aus England. Das staatliche Statistikamt schätzt das Vorkommen von Problemen für mindestens 12 Wochen bei 14% ein, bei jüngeren Menschen sogar 18%.

Wie viele dieser Betroffenen chronische Probleme entwickeln werden, ist aktuell noch völlig unklar.


Was passiert im Körper?

Warum genau es zu Long Covid kommt, ist noch nicht bekannt. Glücklicherweise wird mittlerweile schon intensiv geforscht.

Es ist naheliegend, auch aufgrund der beschriebenen Symptome, dass ein Problem des Immunsystems besteht. Dazu gibt es verschiedene Hypothesen.

Ein Verdacht ist, dass Viruspartikel im Körper anhaltend vorhanden sein könnten und so eine wiederholte Reaktion des Immunsystems auslösen. Für diese sogenannte Viruspersistenz gibt es Hinweise.

Eine andere Möglichkeit ist, dass es durch die Infektion zu einer Reaktivierung anderer, bereits im Körper schlummernder, Viren kommt. Das kann dann ebenfalls zu einer verstärkten Aktivierung des Immunsystems führen. Auch hier wurde gezeigt, dass Covid19 so etwas verursachen kann.

Möglich wäre auch eine starke Aktivierung von Immunzellen des Gehirn, eine sogenannte Neuroinflammation.

Und schließlich besteht auch die Möglichkeit einer Autoimmunreaktion. Generell scheint SARS-CoV-2 solche Fehlreaktionen des Immunsystems zu begünstigen. Es wurde mittlerweile auch gezeigt, dass bestimmte Autoantikörper, die man unter anderem auch von ME/CFS kennt auch bei Long Covid vorkommen.

Einige dieser Autoantiköper haben einen konkreten Einfluss auf das autonome Nervensystem – also den Teil des Nervensystems, der alle nicht willentlich beeinflussbaren Vorgänge steuert, beispielsweise die Steuerung des Kreislaufs. Einer dieser Autoantikörper kann viele der bei Long Covid und ME/CFS bestehenden Probleme gut erklären, auch die Probleme der Muskulatur. Natürlich steht hier der letztendliche Beweis noch aus.

Auch über die Möglichkeit einer Schädigung der Gefäßwand wird spekuliert.

Natürlich ist es auch möglich, dass eine Kombination aus Ursachen die Probleme verursacht.


Welche Beschwerden haben Menschen mit Long Covid?

Sehr im Vordergrund steht eine starke körperliche Erschöpfung, auch Fatigue genannt. Dabei führen oft schon sehr banale Alltagsaktivitäten, sowohl körperlich als auch geistig, zu einer Verschlechterung des Zustandes.

Man bezeichnet dies, analog zu ME/CFS, als Post Exertional Malaise.

Der Schlaf ist schlecht und nicht erholsam. Bei Überschreiten der Aktivitätsgrenzen kommt es oft zusätzlich zu einer Verschlechterung.

Es bestehen oft sehr deutliche Probleme mit der Hirnfunktion. Dies wird relativ unscharf als Brain Fog – Hirnnebel – bezeichnet.

Dieser Begriff umfasst letztendlich Probleme bei Konzentration, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit oder Wortfindung. Es besteht eine gesteigerte kognitive Ermüdbarkeit. Lesen ist zum Beispiel oft nur für wenige Seiten möglich.

Warum diese Probleme auftreten, ist noch unklar. Eine direkte Schädigung des Gehirns durch das Virus ist eher unwahrscheinlich. Es finden sich aber Hinweise auf einen eingeschränkten Hirnstoffwechsel. Glücklicherweise scheint es möglich, dies wieder rückgängig zu machen.


Fehlfunktion des autonomen Nervensystems

Eine sehr häufige Auffälligkeit ist eine Fehlfunktion des autonomen Nervensystems. Sehr vordergründig sind hier Kreislaufprobleme. Im Stehen und bei Aktivität kommt es zu Herzrasen oder auch einem Abfall des Blutdrucks. Das macht sich mit einem Leistungsknick bemerkbar.

Zur Diagnose dieses Problems reicht oft ein sehr simpler Test: der Schellong-Test oder NASA Lean Test. Dieser Test kann oft auch mit Hilfe zu Hause durchgeführt werden.

Man findet hier bei eigentlich fast allen Patient*innen ein posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS), wo es zu einem deutlichen Anstieg der Herzfrequenz kommt. Teilweise findet sich auch eine orthostatische Hypotension, wo der Blutdruck deutlich abfällt.

Die Behandlung ist hier symptomatisch. Man versucht beispielsweise eine gesteigerte Flüssigkeits- und Salzzufuhr oder Stützstrümpfe.

Darüber hinaus gibt es auch medikamentöse Ansätze.

Was genau die autonome Dysfunktion auslöst ist im Moment noch unklar. Möglich sind beispielsweise eine Neuroinflammation des Hirnstammes, die oben erwähnten Autoantikörper oder auch eine Small Fiber Neuropathie (SFN), die sich auch bei ME/CFS häufig findet.


Mastzellenaktivierungssyndrom bei Long Covid

Bei vielen Betroffenen ist auffällig, dass es nach Infektion mit Covid19 zu Problemen mit Histamin kommt. Das kann ein Hinweis auf ein Mastzellenaktivierungssyndrom (MCAS) sein, dass auch bei Covid19 hypothetisch eine Rolle spielt.

Es kann hier zu einer Vielzahl von Symptomen kommen. Dazu zählen Kopfschmerzen, Gelenksschmerzen, Probleme mit der Verdauung, Juckreiz, Kreislaufbeschwerden oder auch Brain Fog. Die Liste der möglichen Beschwerden ist lange.

Nachdem die Labordiagnostik eines MCAS oft schwer ist, empfiehlt sich meist ein diagnostischer Therapieversuch, also die pragmatische Gabe von Antihistaminika und Mastzellen-stabilisierenden Nahrungsergänzungsmitteln.

Interessant ist der häufige Zusammenhang von MCAS mit Immundefekten. Immundefekte wie ein MBL-Mangel wurden mittlerweile auch bei Long Covid beschrieben.


Die Grundlage von allem: Pacing

Unabhängig von jeglicher medikamentösen Therapie ist aber das Pacing der Grundbaustein der Behandlung von Long Covid. Das bedeutet, dass die Aktivität so angepasst werden muss, dass es nicht zu einer Verschlechterung des Zustandes kommt.

Das ist natürlich nicht intuitiv. Die meisten Befroffenen, aber ebenso Therapeut*innen und Ärzt*innen, kennen das Konzept, dass Training zu einer Verbesserung des Zustandes führt. Das ist auch für die meisten Krankheitsbilder korrekt.

Bei Long Covid aber nicht. Hier kann Überaktivierung zu einer Verschlechterung und teilweise auch einer Chronifizierung führen.

Nachdem eben diese Konzept nicht wirklich intuitiv ist, gibt es im Internet viele Seiten mit Tipps. Auch für Physiotherapeut*innen gibt es sehr gute Ressourcen.

In meiner Erfahrung kommt es mit korrektem Pacing, unterstützt von medikamentöser Therapie, oft zu einer Stabilisierung und dann langsamen Besserung des Zustandes. Natürlich dauert die vollständige Genesung oft mehrere Wochen bis Monate.


Long Covid ist nicht gleich ME/CFS

Long Covid und ME/CFS (Link) überschneiden sich in ihrer Symptomatik sehr deutlich. Viel von dem, was nun bei Long Covid „neu“ entdeckt wird, ist bei ME/CFS und postviraler Fatigue schon lange bekannt.

Formal kann nach 6 Monaten die Diagnose ME/CFS gestellt werden. Dies betrifft viele Patient*innen. Dennoch muss man hier vorsichtig sein, diese Diagnose zu früh zu stellen. Es ist nämlich bekannt, dass die Genesung nach viralen Infekten durchaus auch ein Jahr oder länger dauern kann.

Es muss aber auf jeden Fall das Ziel sein, eine Chronifizierung so oft wie möglich zu verhindern. Denn wenn die Beschwerden einmal anhaltend da sind, ist meist nicht von einer deutlichen Besserung auszugehen.